Premiere "Hier und Dort"
- Manfred Blank
- 5. Mai 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen
Zum ersten Mal: die digitalisierte, restaurierte und untertitelte Fassung des Films von 1992

Anfang der sechziger Jahr herrschte in der BRD Arbeitskräftemangel. »Gastarbeiter« wurden angeworben; es kamen Süd-italiener, Griechen, Spanier, Portugiesen und die Türken. In der ersten Phase jedoch - man hat das fast schon wieder vergessen - waren es nicht so sehr Türken, sondern viel mehr Türkinnen, die kamen; nein, die herbeigeschafft wurden. Man brauchte »fließbandtaugliche«, junge und manuell geschickte Arbeitskräfte für die kräftig expandierende, auf der damals neuen Transistor-Technik basierende elektronische Industrie, Arbeitskräfte mit Feingefühl in den Fingern. So lag der Gedanke nahe, junge Frauen zu bevorzugen, womöglich noch solche, die schon eine Ausbildung als Schneiderin hatten.
1992, als ich gerade die Dreharbeiten mit über fünfundzwanzig Frauen - mit türkischen Frauen der ersten Einwanderergeneration - abgeschlossen hatte, loderte der stetig eskalierende Rassismus auf in den Pogromen von Mölln, Solingen und Rostock. Heute denke ich, dass Vorahnungen, noch unbestimmte Empfindungen mich dazu gebracht haben, diese Arbeit anzugehen. Es war eine Qual, in diesen Jahren in Deutschland zu leben.
Wirtschaftlich gesehen ist die Lebenswelt der ersten Einwanderergeneration geprägt von der bundesdeutschen Hochkonjunktur, die der zweiten Generation von der Rezession und die der dritten von der stark zunehmenden Arbeitslosigkeit. Will man es etwas pointiert formulieren, so ist die erste Generation freundlich bis reserviert aufgenommen worden, mit der zweiten in ghettoähnliche, »parallele« Lebenszusammenhänge gedrängt worden, und hat zusammen mit der zweiten und dritten Generation die real existierende, sich mit brutaler Gewalt äußernde Ausländerfeindlichkeit erleben müssen.
Ich bin vorgegangen, Schritt um Schritt, nach dem Prinzip des Schneeballs - und habe schließlich vor mir eine große Zahl von vielfältig unterschiedenen Frauen gefunden. Wenn die Auswahl vielleicht auch nicht repräsentativ ist, was nie das Bemühen gewesen war, so stellt sie doch einen eindrucksvollen Querschnitt dar der Frauen der ersten Generation.
Ich traf auf Frauen, die erzählen wollten, die gleichsam auf mich gewartet zu haben schienen, damit ihre Geschichten, ihre Erlebnisse, ihre Erfahrungen mitgeteilt und festgehalten würden. Ihre Erzählungen waren immer geprägt von dem persönlich Erlebten, niemals gefiltert von Ideologie, politischer oder persönlicher Rücksichtnahme oder den Rastern der ständigen Verlautbarungen. Der Camcorder, den ich dabei hatte und mit dem ich aufzeichnete, war nicht ein Störfaktor, sondern eher ein Stimulans, er setzte dem Willen zur Mitteilung ein Ziel. Wie das mündliche, vorliterarische Erzählen der Zeit vor unserer Zeit, war es eine Unterhaltung, die eine Mitteilung war.
Im Jahr 2023 haben wir in einem langwierigen Arbeitsprozess den Film digitalisiert. Den Plan hatten wir schon länger; wir hatten ihn uns als eine Pflicht verordnet. Nun haben wir ihn endlich zu einem guten Ende gebracht.
Merlyn Solakhan
HIER UND DORT Erzählungen Eingewanderter, 1991-1992, Farbe, 180 Min., türkisch mit deutschen Untertiteln, Regie, Kamera, Schnitt: Merlyn Solakhan, mit: İdil Temuçin, Hilda Parry, Aysel Göksu, Filiz Yüreklik, Hamdiye Eren, Şükran Temizkalp, Refika Şenocak, Perihan Karadeli, Nadiye Başer,Türkân Stein, Sevim Yalçın, Aynur Karaca, Nadiye Yüksel, Ayşe Uyunç, Havva Dönmez, Döndü Türkkolu, Vasfiye Uyar, Atiye Özyurt, Belkıs Erdal, Münevver Erdinç, Ayşe Kara, Ayşe Çalım, Berra Kalasman, Fatma Ülker, Gülfendi Uçta
2023 restauriert - digitalisiert von Manfred Blank, blankfilm Berlin
Dank an Neriman Kurt, die Leiterin des Familiengartens, für ihre Gastfreundschaft und an Hülya Karci für die Moderation und die Hilfe bei der Vorbereitung der Veranstaltung



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